Wenn man zu rasch wirtschaftlich zu hoch steigt, kann dies schon zu einer verzerrten Wahrnehmung der Realität und in Folge zum Grössenwahn führen.
Norma Desmond ist genau dieser Typ Mensch:
Sie lebt in ihrer steinreichen Scheinwelt, wo alle andere ihr selbstverständlich zu Füßen liegen müssen: denn sie ist ja DIE Desmond.
Was der bereits seit Jahrzehnten kommerziell erfolgreichste Musical-Komponisten Andrew Lloyd Webber und sein Librettist Don Black (deutsch Michael Kunze) mit „Sunset Boulevard“ an künstlerischem Anspruch geschaffen hat, ist schwer zu toppen:
Umso schwieriger ist es, eine Musical-Sängerin zu finden, die alle Höhen und Tiefen des Show-Biz kennt und daher weiss, dass der Weg vom umjubelten Superstar über einen Absturz hin zu einem -auch nur vielleicht- Comeback oft kaum mehr realistisch möglich ist.
Sie war (mit Unterbrechungen) DIE Kaiserin Musical „Elisabeth“ von Sylvester Levay und Michael Kunze und hat als diese Weltruhm erlangt.
und auch ihr diesjähriger Auftritt in dieser Rolle vor dem historischen Schloss Schönbrunn in Wien hat ihre Beständigkeit unter Beweis gestellt:
Maya Hakvoort.
Jedoch auch auch sie war eine Zeitlang abgehoben und fern und der Realität wie die Hauptrolle der Norma Desmond in „Sunset Boulevard“, die sie heuer an der Bühne Baden interpretieren sollte.
Umso mehr war ich gespannt, ob die grossteils echt erfolgs-verwöhnte gebürtige Niederländerin dieser höchst anspruchsvollen Rolle in Baden gerecht werden würde.
Und ja: Hakvoort hat mich gerade in dieser Rolle positiv überrascht:
Sie hat inzwischen eine emotionale und daher auch musikalische Tiefe erreicht, die ihr vermutlich wenige zugetraut haben:
Maya ist hier in all ihrer tragisch verträumt neurotischen, aggressiven und realitätsverweigendern Rolle Norma: Gänsehaut pur!
Lukas Hermann (im Stück ihr Liebhaber Joe, der sie masslos ausnützt) kennt man ebenfalls von den VBW-Produktionen und man erhält, was man erwartet: eine übliche ausgebildete hohe Musicalstimme.
Beppo Binder (hier: Max von Mayerling) kennt man vor allem in Baden schon sehr lange aus diversen Rollen: Dieser hat zu Beginn leichte Probleme mit den Höhen der Arien, wird aber zunehmend nicht nur in den Tönen, sondern auch emotional intensiver.
Ja, ich gebe es zu: „Sunset Boulevard“ ist keine Komödie, sondern eine Tragödie über Reichtum und damit einhergehenden Realitätsverlust. Die Melodien von Andrew Lloyd Webber sind zwar nicht so eingängig wie viele seiner anderen Musicals, aber nichtsdestotrotz:
Wir brauchen selbst in Zeiten, wo wir uns mehr denn je seichtes Entertainment wünschen, um der harten Realität zu entfliehen, Musicals mit Tiefgang wie dieses, mit “Swimmingpool” inklusive.
Daher für Kultur-Interessierte: „Sunset Boulevard“ in Baden (grossartige Inszenierung von Andreas Gergen) lohnt sich: inhaltlich, musikalisch (wo gibts noch ein echtes Top-Orchester bei einem Musical?) und ja: auch aufgrund von Maya Hakvoort in der Hauptrolle.
Tags: Andrew Lloyd Webber, Bühne Baden, Beppo Binder, Don Black, Kultur, Kulturkritik, Lukas Perman, Maya Hakvoort, Michael Kunze, Musical, Sunset Boulevard