Endlich konnte ich mir heute die Wiederholung des Neujahrskonzertes 2010 der Wiener Philharmoniker unter Georges Pretre gönnen. Und es fällt mir keinesfalls leicht, eine angemessene Kritik zu fällen:
Georges Pretre wirkt lebensfroh und charmant: er ist einfach ein sympathischer Mensch: und so erreicht er auch die Herzen der Zuschauer gemäss seinem Lebensmotto “Ich liebe dich”. Und menschlich betrachtet ist dies alles auch recht lobenswert.
Ich finde es auch gut, dass heuer wieder ein älterer Herr wie er die Wiener Philharmoniker dirigieren durfte.
Aber all diese Sympathiewerte, die er sich persönlich und auch aufgrund seiner jahrzehntelangen Verdienste um die Pflege der klassischen Musik erworben hat, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein Neujahrskonzert heuer meines Erachtens zwar kein schlechtes, jedoch leider einfach nur ein durchschnittliches war. Und ich muss es leider so hart sagen: ich hatte den Eindruck, dass die Wiener Philharmoniker dieses Konzert genauso mit irgendeinem anderen oder auch ohne Dirigenten gespielt hätten, sosehr ignorierten sie den Herrn mit Taktstock und spielten ihr eigenes Ding: Es plätscherte schön harmlos dahin ohne Akzente und Höhepunkte, irgendwie einfach zu “billig” und anspruchslos für meinen Geschmack und leider genau richtig für eine oberflächliche “Hofgesellschaft”.
Pretre gilt auch als DER Experte, was geistliche Musik betrifft. Und davon hat er im Laufe seines Lebens auch sehr viel eingespielt. Und -ich muss es leider zugeben:- er hat mich damit nie erreicht: Ich finde seine Aufnahmen allesamt inhaltslos und keinesfalls geistlich interpretiert. Vielleicht habe ich einfach keinen Zugang zu seiner vielleicht zu einfachen Art zu denken und fühlen: mag sein.
Es ist zwar nicht gerade Rieu-Niveau, aber -bei allem Bedauern, das sagen zu müssen- nicht weit weg davon: leider. Sicher bringt das Quote für den ORF (weit über eine Million Zuschauer hatte die Erstausstrahlung am Neujahrstag), aber -hart ausgedrückt: so viele Klassik-Fans gibts gar nicht. Und bei einer Eurovisions-Sendung von Andre Rieu am Neujahrstag würde diese Quote sicher auch erreicht, wenn nicht gar überschritten. Aber vielleicht ist die Musik der Strauss-Dynastie ja auch genau für so ein oberflächliches Publikum geschrieben und gedacht. Die Geschmäcker sind aber bekanntlich verschieden.
Im vergangenen Jahr stand übrigens einer meiner hochgeschätztesten Dirigenten, Daniel Barenboim beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker am Dirigentenpult. Und er tat sich sichtlich schwer, solch -eigentlich hohle- leichtfüssige Musik zu dirigieren (und es war im Vergleich zu seinen sonstigen musikalischen Höchstleistungen für mich auch kein wirklich befriedigendes Neujahrskonzert), aber die Philharmoniker folgten ihm dennoch, und das macht einen wirklich guten Dirigenten aus.
Die Wiener Philharmoniker brauchen wieder mehr grosse Persönlichkeiten (und weniger hochgepuschte Selbstvermarkter und Schauspieler, wie man sie zu häufig im TV zu sehen bekommt) am Dirigentenpult, und da denke ich besonders eben an Daniel Barenboim, Christopher Hogwood, Roger Norrington, Claudio Abbado (der immerhin mal Wiener Generalmusikdirektor war), Christian Thielemann, an den jungen Vorarlberger Christoph Eberle, an DEN Wiener Strauss-Experten und Volksopern-Dirigenten Alfred Eschewe und bei der älteren Generation vor allem an Andre Previn: Bei Previn bin ich besonders neugierig, wie er Musik der Strauss-Dynastie dirigieren würde.
Das heurige Neujahrskonzert war bedauerlicherweise austauschbar; wünschenswert wäre was ganz Anderes…
Und hier als Bonus für alle besonders Interessierten noch Neujahrskonzerte (zum Anhören und Ansehen) im Vergleich und im Laufe der Zeit.