Mit ‘Ausländer raus!’ getaggte Artikel

Sonntag, 14. November 2010, von Elmar Leimgruber

Prälat Ungar Journalistenpreis 2010 vergeben

Am 10. November wurde von der Caritas Wien der diesjährige Prälat Leopold Ungar Journalistenpreis vergeben. Die beiden ORF-Report Journalisten Ernst Johann Schwarz und Münire Inam wurden in der Kategorie TV ausgezeichnet. Der Falter-Journalist Stefan Apfl ist der Print-Preisträger, in der Kategorie Hörfunk hat Isabelle Engels (Ö1) überzeugt. Heuer vergibt die Jury erstmals in der Kategorie Online einen Gesamtpreis an das Projekt “dastandard.at”.

“Mit dem Preis zeichnen wir herausragende Leistungen von Journalistinnen und Journalisten aus, die den Mut haben, sich auf soziale Themen einzulassen, Bruchstellen in der Gesellschaft aufzuzeigen und den Weg einer engagierten, anwaltschaftlichen und unbequemen Berichterstattung einschlagen – speziell auch wenn es um Unrecht geht. Diese Journalistinnen und Journalisten leisten mit ihrer Arbeit einen wesentlich Beitrag zu einer offenen und ehrlichen Auseinandersetzung mit sozialen Themen”, so Caritasdirektor Michael Landau.

Die Auszeichnungen im Detail:

Ernst Johann Schwarz und Münire Inam führen in ihrem prämierten Report-Beitrag “Österreich ohne Ausländer” mit den dramaturgischen Mitteln des Fernsehens “Ausländer raus”-Rufe und “Migranten-Stopp”-Ansagen der Wahlkampf-Populisten ad absurdum. “Hervorzuheben ist der kreative Kunstgriff eines “Was wäre wenn”-Spiels, in dem Pfarrer, Kabarettisten und VerantwortungsträgerInnen vom Krankenhaus über die Bauwirtschaft bis zum Fußball “mitspielen” und authentische Aussagen über ein Österreich ohne AusländerInnen machen. Dadurch wird die Fiktion vorübergehend zur Realität und die Misere, in die Österreich geraten würde, noch glaubwürdiger vor Augen geführt”, so die Jurybegründung.

Der Falter-Journalist Stefan Apfl überzeugte in der Kategorie Print mit zwei Reportagen – “In einem Land vor unserer Zeit” über die Alltagswirklichkeit im Kosovo und “Leopoldine und Emir” über die Mühen der Integration am Beispiel des Islamischen Zentrums in Wien-Floridsdorf. Er kultiviert das Genre der Reportage, die das öffentliche Interesse an aktuellen Konflikten nützt, um den Blick zu weiten, Hintergründe auszuleuchten und den widerstreitenden Argumenten auch konkrete Gesichter und Biografien zu geben. Apfl arbeitet damit leidenschaftlich gegen die Kurzatmigkeit der schnellen Nachricht und Meinungsbildung, so die Jurybegründung, und gibt dem Zeitungsjournalismus seinen unersetzlichen Wert zurück: Aufklärung im besten Sinn – engagiert, aber ohne jeden Anhauch von Polemik und Einseitigkeit, heißt es in der Begründung.  Er versteht seine Arbeit abseits von schwülstigem Betroffenheitsjournalismus und enthüllt so durch die nüchterne Schilderung von Fakten menschenrechtliche Skandale.

Isabelle  Engels ist in ihrem Feature “Die Kinder vom Schwedenstift” in der Ö1-Serie “Hörbilder” scheinbar Unmögliches gelungen: Ein Radio-Porträt über Menschen, die sich akustisch nur durch Schreien und andere Laute ausdrücken können. “Die Kinder vom Schwedenstift” nimmt sich mit hoher gestalterischer Professionalität eines selten behandelten Themas an und lassen ein tief berührendes Bild komplexer menschlicher Beziehungen in extremen Umständen entstehen, urteilte die Jury. Das “Schwedenstift” ist Pflegeheim für schwerstbehinderte Kinder und junge Erwachsene in Niederösterreich. Mit großer Sensibilität und ohne falsches Pathos erzählt das Hörbild über verschiedene Beziehungen – zu Eltern und Geschwister, Betreuerinnen und Betreuer oder “Eltern auf Zeit” im Rahmen einer Partnerschaft. Engels zeigt, welch große Fähigkeit die Kinder haben, Beziehungen zu ihren Mitmenschen aufzubauen, obwohl das auf den ersten Blick angesichts des Grades ihrer Behinderungen schwer möglich erscheint.

In der Kategorie Online, die heuer zum ersten Mal prämiert wurde, ging die Auszeichnung an die Redaktion von dastandard.at. Online bietet dastandard.at ein bemerkenswert qualitätvolles Angebot, das sich dem Thema “Migration in Österreich” in allen Facetten des täglichen Lebens widmet – und das zudem die journalistische Kompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund bündelt und fördert. Die eingereichten Beiträge beleuchten eine Welt, die für die überwiegende Mehrheit der Österreicher zugleich ganz nah und doch ferne ist. Dabei nehmen es junge JournalistInnen nicht länger hin, dass andere über sie schreiben, sondern berichten selbst und das in einer modernen Form. Sie haben sich in kürzester Zeit als ein Sprachrohr jener etabliert, die in diesem Land diskreditiert und diskriminiert werden, so die Jurygründung.

Anerkennungspreise für hervorragende journalistische Leistungen wurden in der Kategorie Hörfunk an Georgia Schulze (Ö1), Elisabeth Putz gemeinsam mit Iris Nindl (Ö1) und in der Kategorie Print an Edith Meinhart (Profil) vergeben. In der Kategorie TV wurden Zoran Dobric (ORF Thema), Markus Mörth (ORF Kreuz & Quer) und Danielle Proskar (ORF Kreuz & Quer) ausgezeichnet.

Für den renommierten Medienpreis haben heuer laut Caritas insgesamt 90 Journalistinnen und Journalisten ihre Beiträge eingereicht, davon 34 in der Kategorie TV, 24 in der Kategorie Print, 25 in der Sparte Hörfunk und sieben in der Kategorie Online. Der Preis, der im Sinne des Lebenswerkes von Prälat Leopold Ungar bereits zum siebten Mal von der Caritas der Erzdiözese Wien vergeben und von der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien gesponsert wird, ist heuer erstmals mit 20.000 Euro dotiert.

Montag, 23. August 2010, von Elmar Leimgruber

Schock-Regisseur Christoph Schlingensief verstorben

Christoph Schlingensief bei der Berlinale 2009
Foto: Siebbi (Wikimedia Commons)

“Das Wesentliche ist die Verwandlung. Das Sterben. Und die Angst vor dieser letzten Verwandlung ist allgemein, auf die kann man sich verlassen, auf die kann man bauen”: Christoph Schlingensief 2009 in seinem “Fluxus-Oratorium”: “Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir”.

Der erst 49-jährige deutsche Regisseur, der durch seine provokanten Aktionen und Regieführungen umstritten war, ist am 21. August 2010 verstorben.

Manche Kritiker werfen ihm vor, einfach schockiert zu haben, um aufzufallen, dass es ihm aber nicht um den Idealismus gegangen sei, wieder andere sehen ihn hingegen als vorbildlichen Weltverbesserer.

Die Wahrheit wird wohl auch in diesem Fall dazwischenliegen:

Kunst muss provozieren – Keine Frage.

Im Rahmen der Wiener Festwochen installierte der Künstler den “Ausländer Raus! Schlingensiefs Container” vor der Wiener Staatsoper, der als Vorbild die Fernseh-Show “Big Brother” hatte und in dem sich Asylsuchende befanden. Durch Abstimmungen konnte das Publikum entscheiden, welcher Teilnehmer den Container und das Land verlassen musste.

Ich mag diesbezüglich vielleicht zu sensibel sein, aber diese Aktion Schlingensiefs ging mir eindeutig zu weit: Durch Mega-Überzeichnung von manchem Gedankengut schärft man nämlich nicht selbstverständlich den Blick für das Wahre und die eigene Wirklichkeit, sondern schafft man möglicherweise geradezu eine Massenstimmung, die dem, was man eigentlich mit dieser Aktion erreichen will, entgegengesetzt ist. Hier trägt man als Künstler einfach Verantwortung für das, was man vermittelt und wie man provoziert (siehe dazu auch meinen noch sehr bissigen Kommentar vom Dezember letzten Jahres).

Die vor einigen Jahren diagnostizierte schwere Krebserkrankung Christoph Schlingensiefs aber hat nach meiner Beobachtung -in dem streitbaren Regisseur, der in seinen früheren TV-Talks zuweilen wirkte, wie wenn er von Sinnen wäre -eine “Besinnung auf das Wesentliche”, auf die Kostbarkeit der des Augenblicks und der Kürze der Lebenszeit ausgelöst: Im Gegensatz zu den meisten von schwerem Krebs (in seinem Fall Lungenkrebs) Betroffenen, die sich aus der Welt zurückziehen und sich innerlich aufgeben, ging Schlingensief gleich mehrmals in die Offensive: in seinen Werken und in seinem bewussten und aktiven Auftreten in der Öffentlichkeit: er wurde ein ehrlich rastlos Suchender.

Das zeugt von einer starken Persönlichkeit und von aktivem Überlebenwillen: das ist zutiefst beeindruckend und sein Umgang mit Krankheit und Tod könnte für viele andere Menschen, die ebenfalls eine unheilbare Krankheit diagnostiziert bekommen, hilfreich sein: “Ich habe immer entschieden: Die Leidenden. Der Aktive mag Unendliches für die Welt erreichen. Aber der Leidende, der gar nichts tun kann, erfüllt durch sein Leiden die Welt mit christlicher Substanz”.

Christoph Schlingensief war bei aller Kritik, die jeder grosse Künstler in Laufe seines Lebens wohl auch verdientermassen ernten musste, zweifelsohne ein Grosser, der kaum jemenden,d er sich für Kultur interessiert, kalt liess. Und unter anderem legte er den Grundstein für das Remdoogo Festspielhaus Afrika (oft auch Operndorf Afrika genannt) im westafrikanischen Ouagadougou (Burkina Faso).

Und wenn er in seinem Oratorium weiter schreibt: “Ich hab immer das Gute, die Totale gesucht. Ich habe es gut gemeint. Ich habe das Gute gesucht und ich habe es nicht böse gemeint,” dann glaube ich ihm dies. Und dann möge es auch so sein, wie immer es auch auf seine Kritiker gewirkt haben mag. Es möge das tatsächlich Gute, das er gewirkt hat, auch reiche Frucht bringen: Und möge nun alle Antworten auf seine brennenden Lebensfragen und das Totale und Gute gefunden haben und versöhnt und erlöst sein. Oder aber wir sehen es mit seinen eigenen Worten:

“Wir gedenken des zukünftig Verstorbenen, der vieles leisten wollte, kaum dass er schon wieder weg war. Ein Mensch, wie wir, wie du, wie ich, wie alle – und damit auch besonders. Er war der, der er war, mehr nicht, aber immerhin, wer kann das schon von sich sagen. Viele sind tot, viele sind untot, uns hat man jedenfalls noch nicht beerdigt. Halleluja!”

Und hier gibts Werke (Bücher, Filme, Hörbücher…) von Christoph Schlingensief zum Nachlesen, Nachsehen und Nachhören.