Mit ‘Roger Norrington’ getaggte Artikel

Sonntag, 9. Januar 2011, von Elmar Leimgruber

Neujahrskonzert 2011: Fehlbesetzung am Dirigentenpult

Franz Welser-Möst dirigiert die Wiener Philharmoniker
Foto: ORF/Ali Schafler

Es ist das musikalische TV-Highlight des Jahres und die musikalische Botschaft aus Wien an die ganze Welt: Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker: In etwa 70 Länder wurde das Event -zu dem ist es ja in den vergangen Jahren tatsächlich leider verkommen ist- übertragen. Bis zu 1,233.000 Zuseherinnen und Zuseher verfolgten laut ORF am 1. Jänner 2011, die 53. Übertragung des Neujahrskonzerts aus dem Wiener Musikverein im ORF. Via ORF 2 waren demnach bei Teil zwei des Konzerts durchschnittlich 1,169.000 Zuschauerinnen und Zuschauer dabei, der nationale Marktanteil betrug 65 Prozent.

Und am Dirigentenpult war beim Neujahrskonzert 2011 einer, dessen internationaler Erfolg mir- auch und vor allem nach diesem Konzert- vollkommen unerkärlich ist: Franz Welser-Möst.

Schon auf CD, DVD, Blue Ray und Download erhältlich: Das Neujahrskonzert 2011 der Wiener Philharmoniker unter Welser-Möst
Foto: DECCA

Zugegeben: ich war neugierig auf “sein” Neujahrskonzert, vor allem, da seine bisherige musikalische Laufbahn ja durchaus beindruckend ist, ich aber niemals in seinen CD-Einspielungen auch nur annähernd was finden konnte, was diesen Hype rechtfertigen könnte. Aber Menschen verdienen immer neue Chancen, vor allem Künstler (Dirigenten, Komponisten, Regisseure, Schauspieler, Sänger, Maler, Autoren…) verdienen diese neuerlichen Gelegenheiten zu beweisen, dass sie wirklich Talent haben. Und ich hoffte innig, dass Welser-Möst, wenn er schon den -nach eigenen Angaben- musikalischen Nobelpreis erhalten würde durch die Möglichkeit, das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker zu dirigieren, vielleicht wirklich durch und in dieser Verantwortung wachsen würde. Leider war dem nicht so.

Man konnte im Gegenteil den Eindruck gewinnen, dass die hochehrwürdigen “starken Persönlichkeiten” (Zitat Welser-Möst) der Wiener Philharmoniker so drauf los spielten, wie sie eben die Musik aus der Strauss-Zeit interpretieren, unabhängig davon, wer oder ob ob überhaupt da vorn jetzt einer am Dirigentenpult steht oder nicht. Kann man dies Welser-Möst vorwerfen? Oder liegt es an der Überheblichkeit der Musiker, wenn man als kritischer Zuschauer und Zuhörer diesen Eindruck gewinnen muss?

Tatsache ist allemal: Starke Persönlichkeiten brauchen eine stärkere Persönlichkeit, als sie selbst, sind am Dirigentenpult, sonst ist dieser Posten überflüssig. Und dies trifft bedauerlicherweise auf das Neujahrskonzert 2011 unter Franz Welser-Möst zu: Nur im TV hübsch anzukommen und als austauschbar oder gar als Statist oder Platzhalter am Dirigentenpult zu stehen, reicht nicht.

Welser-Möst selbste meinte ja in der vor dem Neujahrskonzert im ORF übertragenen Doku, dass es nur ganz wenige grosse Dirigenten gebe, keinen Mittelbau und dann eben die durchschnittlichen Dirigenten. Und da muss ich ihm zustimmen, ihm aber gleichzeitg -trotz seiner beindruckenden Karriere- absprechen, zu den grossen Dirigenten er Gegenwart zu gehören. Er dirigiert vollkommen austauschbar und teils sogar noch undifferenzierter als Dirigenten, die international niemand kennt. Diese Kritik trifft übrigens genauso auf vor weitere in Wien gehypte Dirigenten zu, die ich an dieser Stelle bewusst namentlich nicht nennen möchte. Und wirkliche Spezialisten, was die Strauss-Ära und die authentische Interpretation betrifft, die teilweise sogar aus Österreich sind, kommen -aus welchen Gründen auch immer- wohl niemals in diese erste Reihe.

Wie gerne erinnere ich mich hingegen an manche Neujahrskonzerte der vergangenen Jahre, beispielsweise mit Nikolaus Harnoncourt (der in früheren Jahren vielfach Musik “gedrescht” hat, aber mit zunehmendem Alter auch musikalisch weiser und besonnener wurde), Lorin Maazel und besonders Carlos Kleiber, die mit Gespür und Persönlichkeit die Neujahrskonzerte dirigierten.

Ich wünschte mir am Dirigentenpult des Neujahrskonzertes der Wiener Philharmoniker starke und gleichzeitig verständnisvolle Dirigentenpersönlichkeiten, die jene Musik, die sie hier dirigieren “müssen”, auch zumindest verstehen, wenn schon nicht lieben (an diesem Problem scheiterte wohl der ansonsten grossartige Daniel Barenboim vor zwei Jahren). Und auch wenn es wohl nicht im Sinne der Event-Kultur wäre, hier Experimente aufkommen zu lassen: ich bin trotzdem dafür:

Jedenfalls spannend wären sicher Neujahrskonzerte unter dem “verrückten Jazzer” Roger Norrington, dem mystischen Jazzer Andre Previn, dem Energiepaket Christian Thielemann, dem ehemaligen Wiener Musikdirektor Claudio Abbado (aber bitte NICHT den Showman Riccardo Muti) oder dem impulsiven Jungstar Gustavo Dudamel. Oder warum nicht die Wiener Philharmoniker beim Neujahrskonzert wen Musik der Strauss-Dynastie dirigieren lassen, der diese Kultur im Blut hat, beispielsweise der begnadete Pianist Rudolf Buchbinder, der Vorarlberger Christoph Eberle (den die Philhamoniker auch schon lange kennen) und ganz besonders (und ich muss das wie vor einem Jahr erneut vorschlagen:) der gebürtige Wiener Alfred Eschewe (den die Philharmoniker ebenfalls bereits als ihren Dirigenten in der Staatsoper bei zahlreichen Opern kennen), der “immer schon” Strauss dirigiert hat, und  zwar weitaus besser als so mancher -wie im Falle Welser-Möst- prominent und medial gehypte Dirigenten-Star.

Und hier können Sie in jeden Titel des Neujahrskonzertes der Wiener Philharmoniker unter Franz Welser-Möst kostenlos reinhören:

Zum Vergleich sei meine Kritik zum Neujahrskonzert 2010 der Wiener Philharmoniker erwähnt. Und hier als Bonus für alle besonders Interessierten noch Neujahrskonzerte (zum Anhören und Ansehen) im Vergleich und im Laufe der Zeit.

Mittwoch, 6. Januar 2010, von Elmar Leimgruber

Neujahrskonzert 2010: Zu viel Show und zu wenig Spirit

Georges Pretre
Foto: Hautzinger

Endlich konnte ich mir heute die Wiederholung des Neujahrskonzertes 2010 der Wiener Philharmoniker unter Georges Pretre gönnen. Und es fällt mir keinesfalls leicht, eine angemessene Kritik zu fällen:

Georges Pretre wirkt lebensfroh und charmant: er ist einfach ein sympathischer Mensch: und so erreicht er auch die Herzen der Zuschauer gemäss seinem Lebensmotto “Ich liebe dich”. Und menschlich betrachtet ist dies alles auch recht lobenswert.

Ich finde es auch gut, dass heuer wieder ein älterer Herr wie er die Wiener Philharmoniker dirigieren durfte.

Aber all diese Sympathiewerte, die er sich persönlich und auch aufgrund seiner jahrzehntelangen Verdienste um die Pflege der klassischen Musik erworben hat, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein Neujahrskonzert heuer meines Erachtens zwar kein schlechtes, jedoch leider einfach nur ein durchschnittliches war. Und ich muss es leider so hart sagen: ich hatte den Eindruck, dass die Wiener Philharmoniker dieses Konzert genauso mit irgendeinem anderen oder auch ohne Dirigenten gespielt hätten, sosehr ignorierten sie den Herrn mit Taktstock und spielten ihr eigenes Ding: Es plätscherte schön harmlos dahin ohne Akzente und Höhepunkte, irgendwie einfach zu “billig” und anspruchslos für meinen Geschmack und leider genau richtig für eine oberflächliche “Hofgesellschaft”.

Pretre gilt auch als DER Experte, was geistliche Musik betrifft. Und davon hat er im Laufe seines Lebens auch sehr viel eingespielt. Und -ich muss es leider zugeben:- er hat mich damit nie erreicht: Ich finde seine Aufnahmen allesamt inhaltslos und keinesfalls geistlich interpretiert. Vielleicht habe ich einfach keinen Zugang zu seiner vielleicht zu einfachen Art zu denken und fühlen: mag sein.

Es ist zwar nicht gerade Rieu-Niveau, aber -bei allem Bedauern, das sagen zu müssen- nicht weit weg davon: leider. Sicher bringt das Quote für den ORF (weit über eine Million Zuschauer hatte die Erstausstrahlung am Neujahrstag), aber -hart ausgedrückt: so viele Klassik-Fans gibts gar nicht. Und bei einer Eurovisions-Sendung von Andre Rieu am Neujahrstag würde diese Quote sicher auch erreicht, wenn nicht gar überschritten. Aber vielleicht ist die Musik der Strauss-Dynastie ja auch genau für so ein oberflächliches Publikum geschrieben und gedacht. Die Geschmäcker sind aber bekanntlich verschieden.

Im vergangenen Jahr stand übrigens einer meiner hochgeschätztesten Dirigenten, Daniel Barenboim beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker am Dirigentenpult. Und er tat sich sichtlich schwer, solch -eigentlich hohle- leichtfüssige Musik zu dirigieren (und es war im Vergleich zu seinen sonstigen musikalischen Höchstleistungen für mich auch kein wirklich befriedigendes Neujahrskonzert), aber die Philharmoniker folgten ihm dennoch, und das macht einen wirklich guten Dirigenten aus.

Die Wiener Philharmoniker brauchen wieder mehr grosse Persönlichkeiten (und weniger hochgepuschte Selbstvermarkter und Schauspieler, wie man sie zu häufig im TV zu sehen bekommt) am Dirigentenpult, und da denke ich besonders eben an Daniel Barenboim, Christopher Hogwood, Roger Norrington, Claudio Abbado (der immerhin mal Wiener Generalmusikdirektor war), Christian Thielemann, an den jungen Vorarlberger Christoph Eberle, an DEN Wiener Strauss-Experten und Volksopern-Dirigenten Alfred Eschewe und bei der älteren Generation vor allem an Andre Previn: Bei Previn bin ich besonders neugierig, wie er Musik der Strauss-Dynastie dirigieren würde.

Das heurige Neujahrskonzert war bedauerlicherweise austauschbar; wünschenswert wäre was ganz Anderes…

Und hier als Bonus für alle besonders Interessierten noch Neujahrskonzerte (zum Anhören und Ansehen) im Vergleich und im Laufe der Zeit.

Freitag, 16. Juni 2006, von Elmar Leimgruber

Paul McCreesh, der junge Hogwood

Im fernen Jahr 1973 gründete der Musikwissenschaftler und -Pädagoge Christopher Hogwood die Academy of Ancient Music, eine Formation von hochtalentierten jungen Musikern, die sich nicht nur rhythmisch und geschwindigkeitsmäßig auf die authentische Interpretation alter Musik spezialisieren sollten, sondern auch durch die Verwendung historischer Instrumente aus jeder Zeit, in der die Werke komponiert wurden.
Seither versuchten sich viele Künstler in demselben Genre (u.a. Roger Norrington, Nikolaus Harnoncourt, John Eliot Gardiner, William Christie, Trevor Pinnock, Paul Goodwin), Hogwood, das Original, blieb hingegen unerreicht.
In der Zwischenzeit wuchs eine neue Generation von Musikern heran: einer von diesen, Andrew Manze, ist heute der Nachfolger von Trevor Pinnock als Chef des English Concert. Vorher war er im Orchester Hogwoods als Solist an der Violine und als Dirigent tätig und wurde innerhalb kürzester Zeit Co-Chef der Academy. Auch die Bekanntheit von Cecilia Bartoli ist übrigens maßgeblich Christopher Hogwood zu verdanken, der sie schon in seinen frühen Einspielungen musikalisch verewigte.
Neben Andrew Manze ist DER musikalische Newcomer einer neuen Generation Paul McCreesh. Genauso wie Hogwood seinerzeit geht McCreesh heute einen ganz neuen Interpretationsweg im Bereich der sogenannten Alten Musik. Er interpretiert noch frischer, noch lebendiger, noch aufmüpfiger als Hogwood und es ist ein musikalischer und künstlerischer Hochgenuß, beispielsweise seine Einspielung von Händels “Messias” zu hören.
McCreesh hat mit seinem Ensemble Gabrieli Consort in diesem Jahr sein Spektrum erweitert und in London ein von der großen Öffentlichkeit beinahe unbemerktes Mozart-Konzert* gegeben, dem ich am 14. Juni beiwohnen durfte.
McCreesh ist ein großartiger und feinfühlender Musiker und Orchesterleiter und er interpretiert lebendig und begeistert, so dass der Kulturliebhaber sich nur ebenfalls begeistert freuen kann. Paul McCreesh ist heute DER musikalische und künstlerische Innovator, der seit 1973 Christopher Hogwood war.
Und was ist mit Hogwood heute? Ist er ausgelaugt, müde?
Nein, keinesfalls, er ist das, was ein großer Musiker und Wissenschaftler immer ist, weiter innovativ und auf neuen, vollständig anderen Ufern unterwegs: Er, der bisher nur bekannte Experte für Alte Musik, veröffentlicht seit einigen Jahren u.a. zusammen mit dem Kammerorchester Basel zahlreiche CDs mit Uraufführungen von Musik aus dem 20. Jahrhundert. Zudem führte er mit seiner Academy Of Ancient Music (deren Leitung übergibt er ab Herbst einem der neuen Generation: an Richard Egarr) romantische Werke beispielsweise von Mendelssohn-Bartholdi auf und auch in dessen Interpretation ist Hogwood wieder mal seiner Zeit weit voraus. Kein Wunder, dass Hogwood neben kleinen Meisterensembles mittlerweile einige der besten großen Orchester weltweit wie beispielweise das Tonhalle Orchester Zürich, das RAI-Orchester Mailand oder das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks dirigiert.
Qualität und Innovationsdenken überstehen eben alle Zeiten.
*Von Hogwood gibts übrigens auch eine neue CD, und zwar mit -wie sollte es im Mozartjahr auch anders sein- unbekannten Werken Mozarts: “The secret Mozart”.

Sonntag, 29. Dezember 2002, von Elmar Leimgruber

Überwältigend gut: Bernhard Reifer und die Brass Band Pfeffersberg

Wer sich unter Blasmusik ewig gleiche Klänge mit stets denselben Rhythmen und Melodien oder krampfhaft demonstrierte Zeitgemäßheit erwartet, wurde am 28. Dezember 2002 im Bozner Haydn-Saal eines Besseren belehrt: Die Brass Band Pfeffersberg (BBP) wagte sich an ein sehr niveauvolles und schwieriges Programm, gab es doch u.a. Ouverturen von Shostakovich und von Berlioz, “The Olympic Spirit” von John Williams und das über 30 Minuten dauernde siebensätzige Werk “Hymn Of The Highlands” von Philip Sparke zu hören. Zudem kam auch das der Brass Band gewidmete Stück “BBP” vom jungen Südtiroler Blasmusikkomponisten Armin Kofler zur Aufführung. Kofler ist grosses Lob für sein Werk auszusprechen, das etwas an frühe Kompositionen von John Williams erinnert.
Wenn man bedenkt, dass es sich bei diesem Blechblasorchester um einem grossteils aus Laien-Musikern bestehenden Klangkörper handelt, war ich umso mehr positiv überrascht vom hohen Niveau und von der Spielkunst der BBP. Was man bei Blasmusikkonzerten üblicherweise nicht gewohnt ist, wurde bei diesen Interpretationen Wirklichkeit: es entstand Hochstimmung, ja ich bekam mehrmals Gänsehaut, wie mir das meist nur bei manchen Aufführungen unter der Stabführung Roger Norringtons oder Daniel Barenboims geschieht. Ich war am Ende des Konzerts wunschlos glücklich und schwebte irgendwie im Raum vor Begeisterung. Zurückzuführen ist das vor allem auf Bernhard Reifer, einem begnadeten jungen Dirigenten, der eigentlich Schlagzeuger bei der Musikkapelle Pfeffersberg ist.
Reifer ist ein Naturtalent mit einem unvergleichlichem Charisma und mit einer Ausstrahlung, die die Musikanten zu dynamischen und einfühlsamen Höchstleistungen erhebt.
Bernhard Reifer ist ein Name, den sich die Musikfachwelt einprägen sollte. Es sei ihm vergönnt, ein Musikstudium zu absolvieren, um sein weit überdurschschnittliches noch weiter zu entfalten.